Für Arbeiterinnen tödliche Paarungen bei Myrmecina graminicola

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Für Arbeiterinnen tödliche Paarungen bei der Ameise Myrmecina graminicola (Hymenoptera: Formicidae).

Nach einer Originalarbeit von

ALFRED BUSCHINGER (2003)

Vom Autor unterzeichnet, siehe AmeisenWiki:Unterzeichnete Beiträge.


Stichworte: Paarung, Kopulation, Kastendetermination, intermorphe Königin.

Summary

Seemingly regular matings between males and workers of Myrmecina graminicola with a prolonged coupling phase were repeatedly observed. Most of the workers died soon after such a copulation during which apparently no sperm transfer occurred. The behavior is probably a laboratory artifact. Matings of both alate females and intermorphs never had fatal consequences to the females.

Einleitung

Die Myrmicine Myrmecina graminicola zeichnet sich neben einigen anderen Ameisenarten (Buschinger und Heinze 1992) durch einen Polymorphismus der Königinnen-Kaste aus (Buschinger 1999). Neben normal geflügelten, nach der Paarung entflügelten Weibchen kommen primär flügellose intermorphe, mehr oder weniger der Arbeiterin ähnliche Tiere vor, die in etwa der Hälfte der Freilandvölker die Königin-Funktion übernehmen. Zur Aufklärung der wie bei Harpagoxenus sublaevis (Nylander, 1852) (Winter & Buschinger 1986) und Leptothorax sp. A (Heinze & Buschinger 1989) wahrscheinlich genetischen Grundlage dieses Königinnen-Polymorphismus werden Zuchtversuche durchgeführt. Die Tiere verpaaren sich unter Laborbedingungen ziemlich problemlos. In bisher zwei aus dem Freiland entnommenen Völkern wurden nach längerer Laborhaltung Paarungsversuche von Männchen mit Arbeiterinnen beobachtet, die gelegentlich zu echten Verhängungen führten. Regelmäßig starben die beteiligten Arbeiterinnen bald nach einer solchen Kopula. Dieses merkwürdige Verhalten soll hier mitgeteilt werden. Von anderen Ameisenarten sind ähnliche Beobachtungen praktisch unbekannt.

Material und Methoden

M. graminicola ist in Europa weit verbreitet, wenngleich ihre Nester nur selten gefunden werden. In Südhessen und Nordbayern gelingt es in bestimmten Laubwald-Habitaten mit vertretbarem Aufwand komplette Völker zu sammeln. Die Nester liegen hier unter teilweise im Boden versunkenen, größeren Steinen. Zur Laborhaltung verwende ich so genannte Dreikammer-Formikarien (Buschinger 1974), Sortimentsschachteln aus Kunststoff von 10×10×3 cm (L×B×H), die durch 2 Trennwände in 3 Kammern unterteilt sind. Durch Bohrungen sind diese Kammern verbunden, ein Gipsbelag von ca. 5 mm Dicke am Boden hilft die Feuchtigkeit zu regulieren. Im Deckel wird durch ein eingeklebtes Siebgewebe (Durchmesser ca. 2 cm) eine Lüftungsöffnung geschaffen, die im Falle der Feuchtigkeit liebenden M. graminicola über der Kammer mit Trinkwasser angeordnet wird. In der Mittelkammer werden Honigwasser (1:1) und klein geschnittene Insektenteile (Schabe, Mehlkäferpuppe) als Futter angeboten. Die dritte Kammer nimmt das Nest auf. Es besteht aus einem Plexiglas-Rahmen, auf dem mittels Klebstreifen ein Objektträger (26×76 mm) befestigt wird. Ein passendes Stück roter Kunststofffolie wird darüber aufgelegt. Die Tiere ziehen freiwillig unter diese Anordnung, wo sie mit ihrer Brut direkt auf dem Gipsboden sitzen. Das Futter wird dreimal pro Woche gewechselt. Zur Überwinterung werden die Völker für 5-6 Monate bei ca. 8–10°C gehalten, Frühjahrs- und Herbstbedingungen werden mit 12 h 16°/ 12 h 20°C für jeweils 2–3 Wochen simuliert, die „Sommerphase“, in der die Brutaufzucht erfolgt, wird in 6-8 Wochen bei 10 h 18°/ 14 h 23°C durchlaufen (Diese Werte wurden empirisch ermittelt, sie sind nicht notwendigerweise die optimalen!). Geschlechtstiere werden unter diesen Bedingungen im Abstand von ca. 9 Monaten aufgezogen (statt 12 Monate in der Natur).

Ergebnisse

Myrmecina Arbeiterinnen-Paarung.jpg

Bild 1: Myrmecina graminicola. Normal erscheinende Verhängung einer Arbeiterin mit einem geflügelten Männchen. Die Tiere wurden während der Kopula in Ethanol fixiert.


Bild. 1 zeigt eine Arbeiterin in Verhängung mit einem Männchen. Das Paar wurde in diesem Zustand aus dem Formikarium entnommen und direkt in 70% Ethanol überführt. Trotz anfangs heftiger Bewegungen löste sich die Verhängung nicht, so dass es anschließend in der gezeigten Form fotografiert werden konnte. Aufreitversuche von Männchen auf Arbeiterinnen sowie Verhängungen wurden in einem weisellosen Volk beobachtet, das in drei aufeinander folgenden Labor-„Jahren“ nur Männchen als Söhne von Arbeiterinnen produzierte. Die Kopulationen erfolgten daher nicht mit Jung-Arbeiterinnen, sondern mit mehrere Jahre alten.

In einem zweiten Volk, das 3 intermorphe Königinnen enthielt, dennoch über 2 Jahre im Labor nur Arbeiterinnen und Männchen aufzog, wurden ebenfalls wiederholt Verhängungen von Arbeiterinnen mit Männchen beobachtet. In diesem Fall kann es sich bei den Arbeiterinnen um Jungtiere gehandelt haben.

In allen Fällen waren bereits während der Paarungsaktivitäten sowie noch 1–2 Stunden danach gleichzeitig insgesamt 6–8 sterbende und tote Arbeiterinnen im Formikarium zu sehen. Dies fällt auf, da Myrmecina-Arbeiterinnen allgemein sehr langlebig sind, so dass bei Kontrollen nur ganz selten ein verstorbenes Exemplar zu finden ist. Wiederholt wurde auch direkt beobachtet, dass Arbeiterinnen nach Beendigung einer Verhängung innerhalb von 1–2 Stunden verstarben. Andere Arbeiterinnen betasten die sterbenden Individuen und tragen sie etwas umher, behandeln sie jedoch nicht irgendwie aggressiv.

Zwei Arbeiterinnen, deren „Paarung“ direkt beobachtet worden war, wurden präpariert und sowohl dem Hinterleib äußerlich anhaftenden Sekrete als auch der Inhalt von Vagina und Ovidukten wurden mikroskopisch auf Spermien überprüft. Es scheint in diesen Fällen jedoch keinerlei Sperma-Übertragung stattgefunden zu haben. Die Arbeiterinnen haben jeweils 2 Ovariolen, eine Spermathek fehlt ihnen, während auch sehr arbeiterinähnliche Intermorphe 10–14 Ovariolen und eine Spermathek besitzen. Todesfälle unmittelbar nach der Kopula treten weder bei Intermorphen noch bei Gynomorphen auf.

Diskussion

In zahlreichen jüngeren Arbeiten wird über „mated workers“ oder „gamergates“ berichtet (z.B. Bourke 1988, Hölldobler & Wilson 1990, Peeters 1991). Sie sind besonders häufig bei Ponerinen. In diesen Fällen handelt es sich bei den „Arbeiterinnen“ jedoch um Individuen, die voll entwickelte Geschlechtsorgane besitzen, normal begattet werden, und die Königin-Funktion ebenso gut übernehmen wie begattete, entflügelte „Vollweibchen“, soweit bei den betreffenden Arten vorhanden. Nach einer funktionellen Kastendefinition werden sie entsprechend als ergatomorphe oder intermorphe Königinnen bezeichnet (z.B. Buschinger 1987).

Paarungsversuche von Ameisen- Männchen mit normalen, nicht reproduktiv spezialisierten Arbeiterinnen werden in der Literatur nur sporadisch erwähnt. Noch Donisthorpe (1927, S. 24) schrieb ausdrücklich: „Copulation between males and workers has not been observed“. In Gößwald (1933, S. 275) findet sich ein kurzer Hinweis: „Vor einigen Jahren fand ich in einem Lasius niger- Nest eine Arbeiterin und ein Männchen in Kopula. Leider hatte ich damals keine Zeit zu anatomischen Untersuchungen, ob tatsächlich eine Begattung stattgefunden hatte“. Goetsch (1953, S. 241) erwähnt, dass bei Myrmica rubra die Männchen im Kunstnest versuchen, Arbeiterinnen zu begatten, was einmal sogar Erfolg hatte.

Die Paarung von Myrmecina graminicola beschrieb Donisthorpe (1927), wobei Verhängungen geflügelter Weibchen mit Männchen im Nest mehrere Stunden dauerten. Dies kann ich für meine Versuche nicht bestätigen: Bei normalen Paarungen sowohl von intermorphen als auch von gynomorphen Weibchen ist die Verhängung nach rund 30–60 sec beendet. Allerdings fanden diese Paarungen in einem „Flugkäfig“ von 20×20×30 cm Größe außerhalb der Nester statt. Die oben beschriebenen Verhängungen von Männchen mit Arbeiterinnen dagegen erfolgten im Formikar, wenngleich außerhalb des eigentlichen Nestes, in der Futter- bzw. Wasserkammer. In den „Flugkäfigen“ mit paarungsbereiten intermorphen oder gynomorphen Weibchen laufen häufig auch einige Arbeiterinnen umher, die aber bisher nie von Männchen behelligt wurden. Diese konzentrieren ihre Suchaktivitäten auf die weiblichen Geschlechtstiere.

Es ist denkbar, dass Männchen in den Formikarien ohne begattungsbereite Weibchen durch die Abgabe eines Sexualpheromons von Weibchen anderer Völker in demselben Brutschrank stimuliert wurden. Ihr ungewöhnliches Verhalten stellt vermutlich ein Laborartefakt dar. Dennoch ist auffällig, dass Paarungen von Männchen mit Arbeiterinnen bisher nur in 2 Völkern zu beobachten waren, da insgesamt im Lauf unserer Untersuchungen bereits in ca. 20 Völkern nur männliche und in weiteren ca. 40 Völkern männliche und weibliche Geschlechtstiere aufgezogen wurden. Besonders eigenartig und bisher unerklärlich ist die Beobachtung, dass derart „verpaarte“ Arbeiterinnen bald nach der Verhängung starben.

Weiterführende Literatur

Bourke, A. (1988): Worker reproduction in the higher eusocial Hymenoptera. Quart. Rev. Biol. 63, 291-311.

Buschinger, A. (1974): Experimente und Beobachtungen zur Gründung und Entwicklung neuer Sozietäten der sklavenhaltenden Ameise Harpagoxenus sublaevis (Nyl.). Insectes soc. 21, 381-406.

Buschinger, A. (1987): Polymorphism and reproductive division of labor in advanced ants. In: Chemistry and Biology of Social Insects (Eds. J. Eder & H. Rembold), Verl. J. Peperny, München., p. 257-258.

Buschinger, A. (1999): Monogyny, polygyny, and queen polymorphism in the ant, Myrmecina graminicola. In: Soziale Insekten, IUSSI-Tagung Hohenheim 1999 (Hrsg. P. Rosenkranz & C. Garrido), p.21.

Buschinger, A. & J. Heinze (1992): Polymorphism of female reproductives in ants. In: Biology and Evolution of Social Insects, J. Billen (Ed.), Leuven University Press, p. 11-23.

Donisthorpe, H.St.J.K. (1927): British Ants, their Life History and Classification, 2nd ed., W. Brendon & Son, ltd., Plymouth, XV+379 pp.

Gößwald, K. (1933): Weitere Untersuchungen über die Biologie von Epimyrma gößwaldi Men. und Bemerkungen über andere parasitische Ameisen. Z. wiss. Zoologie 144, 262-288.

Goetsch, W. (1953): Vergleichende Biologie der Insektenstaaten. Akad. Verl.-Ges. Geest & Portig K.-G, Leipzig, VIII+482 pp.

Heinze, J. & A. Buschinger (1989): Queen polymorphism in Leptothorax spec.A: Ist genetic and ecological background (Hymenoptera: Formicidae). Insectes soc. 36, 139-155.

Hölldobler, B. & E.O. Wilson (1990): The Ants. The Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge, Mass., XII+732 pp.

Peeters, C. (1991): The occurrence of sexual reproduction among ant workers. Biol. J. Linn. Soc. 44, 141-152.

Winter, U. & A. Buschinger (1986): Genetically mediated queen polymorphism and caste determination in the slave-making ant, Harpagoxenus sublaevis (Hymenoptera: Formicidae). Entomol. Gener. 11, 125-137.