Totholz: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 14. Februar 2014, 21:30 Uhr
"Totholz" ist ein im Zusammenhang mit den Nistgewohnheiten der Ameisen immer wieder genannter Begriff. Hier sei ein etwas älterer Artikel aus der Zeitschrift der Deutschen Ameisenschutzwarte wiedergegeben, der die Thematik unter besonderer Berücksichtigung der Ameisen aufgreift.
Holzmehl-Abfallhaufen einer Rossameisenart
Verlassenes Holznest in einem Baumstumpf
Nestgalerien von Lasius fuliginosus in einem Holzstumpf
Totholz hat ein langes Leben!
Nach A. Buschinger (1996), aus Ameisenschutz aktuell 10, 71-74. (Ameisennamen aktualisiert Okt. 2013)
"Hecken auf den Stock gesetzt" - Immer wieder taucht die Schlagzeile in den Lokalnachrichten der Tageszeitungen auf. Hecken sind wichtiger und wertvoller Bestandteil einer Kulturlandschaft, als Windschutzstreifen, am Waldrand, aus ästhetischen und anderen Gründen. Insbesondere sind sie Lebens- und Brutraum für zahlreiche Vogelarten, bieten Deckung für das Wild, beherbergen auch Kleinsäuger und unzählige Arten von Schnecken, Insekten und anderen Gliedertieren, die in der umgebenden Acker- oder Wiesenfläche nicht existieren können.
Leider haben Hecken die Angewohnheit, nicht nur in die Höhe, sondern auch in die Breite zu wachsen. Sie sind ein Übergangsstadium zum Wald und müssen folglich in der Feldflur wie auch am Waldrand immer wieder zurück geschnitten werden. Selbst in Naturschutzgebieten kann man Hecken und Gebüsche nicht sich selbst überlassen, wenn offene Flächen mit schutzwürdigen Pflanzen oder Tieren zu erhalten sind.
Wirklich alte, seit Jahrzehnten unberührte Hecken bestehen aber nicht nur aus lebenden Sträuchern. Viele Schösslinge oder auch ältere Stämmchen sterben ab, verbleiben jedoch als Totholz lange Zeit aufrecht stehen bis sie zerfallen und am Boden endgültig verrotten. Gerade dieses Totholz aber ist ein eigener Lebensraum, ganz besonders für Insekten und ihre Entwicklungsstadien, und nicht zuletzt für Ameisen (BUSCHINGER 1996). Zieht man aus einer Schlehdornhecke etwa einen dürren, mit Flechten überkrusteten Ast heraus (Arbeitshandschuhe empfehlenswert!) und zerbricht ihn in kleine Stücke, so trifft man zumindest in trocken-warmen Gebieten an Rhein, Main und Mosel fast immer auf die Schmalbrustameise Temnothorax affinis, die ihre Nestkammern in das beinharte Holz genagt hat.
Etwas tiefer, wo der Ast in Bodennähe von Moos überzogen ist, lebt ihre Verwandte, Temnothorax albipennis (ehemals T. tuberointerruptus), eine Art aus den Roten Listen (Kategorie 2 oder 3). Auch Temnothorax unifasciatus ist dort gelegentlich zu Hause, obwohl sie Nester zwischen flachen Steinen bevorzugt. Eine besondere Kostbarkeit in solchen abgestorbenen Ästen ist die seltene Vierpunktameise Dolichoderus quadripunctatus (RL 2/3), die ansonsten auch Totholz im Kronenraum von Eichen, Nussbäumen und Kiefern besiedelt. In dürren Trieben von Haselnuss und Heckenrose nistet nahe am Boden eine weitere interessante Schmalbrustameise, Leptothorax gredleri (RL 4), die sich durch funktionelle Monogynie auszeichnet (BUSCHINGER 1968, HEINZE et al.1992): Begattete Jungweibchen kehren ins Mutternest zurück, werden dort aber nicht fertil, sondern "warten" entweder, bis die alte Königin stirbt, vielleicht erst nach Jahren, oder sie verlassen im nächsten Frühjahr das Nest mit ein paar Arbeiterinnen um ein eigenes Volk aufzubauen. Zwischen den Weibchen eines Volkes entwickelt sich eine regelrechte "Hackordnung", wie im Hühnerhof, eine Hierarchie, in der im Frühjahr durch Kämpfe entschieden wird, wer Eier legen darf. Schließlich wohnen in kräftigeren, toten Stämmchen auch verschiedene Rossameisen, so etwa die Stöpselkopfameise Camponotus truncatus (RL 2/3), während die großen Arten C. ligniperdus und C. herculeanus geschädigte oder tote Baumstämme und Stubben bevorzugen.
Totholz als Lebensraum war 1989 Thema einer Seminartagung des Naturschutzzentrums Nordrhein-Westfalen (NZNRW 1990). Die Bedeutung von Alt- und Totholz in all seinen Erscheinungsformen für Pilze, Moose, Flechten, für Käfer, Wildbienen, Wespen, Ameisen, Kleinschmetterlinge, für Spechte und Fledermäuse wurde dargestellt und diskutiert. Einige Beiträge befassten sich mit Sukzessionen an Totholz, mit der zeitlichen Abfolge der Besiedlung durch verschiedene Organismengruppen.
"Totholz hat ein langes Leben"
So habe ich diesen Bericht genannt, und in der Tat geht aus den genannten Seminarvorträgen hervor, dass Totholz seinen Bewohnern und Besiedlern unerwartet lange zur Verfügung stehen kann. So werden für Laubholz-Baumstümpfe 4,5 bis 5,5 Jahre bis zur "Finalphase" der Pilzbesiedlung angegeben, die dann noch 8-12 Jahre anhält. Ähnliches gilt für Nadelholz (Kiefer), bei dem die Finalphase erst 7-8 Jahre nach dem Hieb eintritt und dann 5-12 Jahre und länger andauert (RUNGE in NZNRW 1990). Für besonnte Kiefernstümpfe in den Niederlanden gibt DANIELS (in NZNRW 1990) eine Existenz von 15-20 Jahren an, in Polen können 25-30 Jahre erreicht werden. In solchen Stubben leben Leptothorax-, Myrmica-, Serviformica-, Camponotus- und Lasius-Arten sowie die Raubameise Raptiformica sanguinea, und natürlich können Waldameisen darüber ihre Hügel errichten. Ähnliches gilt für stehende oder liegende tote Stämme.
Wie aber sieht es mit dem dürren Holz in Hecken aus? Bei der Neuanlage eines Hausgartens 1983 hatte ich Gelegenheit, einen Teil der Fläche "naturnah" zu gestalten. Mein Wunschtraum war es, ein kleines Xerothermgebiet mit Schlehen, Heckenrose, Wacholder, Hartriegel, Wildkirsche, Eiche etc. aufzubauen, um dort einige interessante Ameisen anzusiedeln und - bequemer als im Freiland - beobachten zu können. Ein früherer Versuch, das Sexualverhalten und die Sklavenraubzüge von Harpagoxenus sublaevis auf diese Weise unter freilandähnlichen Bedingungen zu studieren, war sehr erfolgreich verlaufen (BUSCHINGER 1983). Doch hatten wir deren Verhaltensweisen schon längst im Labor erforscht, es ging nur noch darum, ob sie im Freiland ebenso ablaufen. Wie und wo aber schwärmt z.B. Temnothorax affinis? Fliegen die Tiere ab, oder geschieht das Ganze mehr in Nestnähe, im Gebüsch? - Bisher weiß es niemand.
Die Anlage des "Ameisengartens" war nicht ganz einfach. Man kann nur kleine Pflanzen aus dem Freiland entnehmen, die dann halt Jahre zum Wachsen benötigen. Regelmäßiger Schnitt der jungen Triebe muss den Verbiss durch Reh oder Schaf ersetzen, "Bonsai-Format" ist auch mit Rücksicht auf die Nachbarschaft von Tomaten, Salat und Erdbeeren angebracht, der Kampf gegen die mehrere Meter langen Ausläufer von Schlehdorn und Wildkirsche endet nie. Totholz ist bisher, nach nun 13 Jahren, nicht aufgetreten! Nur die ursprünglich eingebrachten dünnen Triebe von Eiche und Wildkirsche starben ab, die Pflanzen schlugen am Boden neu aus
Ein alter Schlehenast, bereits 1983 lange tot und, wie sich erst nach dem "Ernten" aus einer unterfränkischen Hecke herausstellte, zufällig von Dolichoderus quadripunctatus bewohnt, wurde zwischen die jungen Pflanzen gesteckt: Er "lebt" noch heute, 1996, wenngleich die Vierpunktameisen dem Zugriff von Lasius niger nicht standhalten konnten. 1985 wurden in Wildkirsche, Schlehe und eine Kiefer, die inzwischen etwas herangewachsen waren, einige von Temnothorax affinis natürlicherweise besiedelte Äste eingehängt (man will ja mal einen Fortschritt sehen...). Auch diese Äste sind heute noch intakt und sogar noch von den Schmalbrustameisen bewohnt. Deren jeweils nur eine Königin muss inzwischen das für so kleine Insekten geradezu biblische Alter von rund 15 Jahren erreicht haben: Im Freiland benötigten die Völker mindestens 3-4 Jahre um auf die Größe heranzuwachsen, in der ich sie eingesammelt hatte, dazu kommen die nunmehr 11 Jahre im Garten.
Solche Daten lassen erkennen, dass für Ameisen und andere Kleintiere "brauchbares" Totholz nicht von heute auf morgen entsteht. Nehmen wir an, dass Schlehdorn-Stämmchen wie das in Abb. 2 gezeigte nach vielleicht 10-15 Jahren die entsprechende Dicke erreicht haben. Wenn einzelne dann absterben, vielleicht unter Einwirkung von Bockkäferbefall oder infolge von Konkurrenz, so dauert es sicher 3-5 Jahre, bis das Holz für die Ameisen überhaupt besiedelbar wird. Und dann erst kann es für weitere 10-15 Jahre als Nistgelegenheit dienen. Zusammengerechnet kommt man so auf 25-35 Jahre, bis eine Hecke oder ein Feldgehölz den vollen ökologischen Wert entwickelt hat. "Auf den Stock setzen", die verbreitete Form der "Heckenpflege" verhindert die Entstehung von geeignetem Totholz, selbst wenn diese Maßnahme "nur" alle 5-10 Jahre durchgeführt wird. Und wenn gar eine mehrere Jahrzehnte alte Hecke bis zum Boden zurückgestutzt wird, vernichtet man mit dem Totholz zahlreiche seiner lebenden Bewohner. Schlimmer noch: Für die nächsten 25-30 Jahre wird es auch deren Lebensraum nicht wieder geben!
Was ist die Alternative?
Aus Natur- und Artenschutzgründen sollte beim Rückschnitt von Hecken und Feldgehölzen das Totholz weitgehend erhalten bleiben. Nun findet sich dieses naturgemäß vor allem im Zentrum, im ältesten Teil, wo man die Hecke ohnehin haben will. Es reicht also, den Rückschnitt auf die Seiten zu beschränken und den mittleren Bereich vielleicht auf eine akzeptable Höhe von 3-4 m zurückzunehmen. Mit modernen Maschinen ist dies kein großes Problem, wie man heute entlang vieler Straßen beobachten kann.
Das Ergebnis eines derartigen schonenden Rückschnitts wäre nicht nur die Erhaltung der ökologisch wertvollsten Kernbereiche der Hecken samt Totholz und seiner Fauna. Auch die Funktion als Windschutz und Vogelniststätte bliebe erhalten, und ästhetischer wäre eine solche Hecke allemal im Vergleich zu den ganz oder streckenweise "auf den Stock gesetzten", zumal sie gleich im folgenden Sommer wieder blühen und fruchten könnte. Verjüngung wächst im nun lichtdurchfluteten zentralen und im zurück geschnittenen Bereich von alleine nach.
Totholz ganz allgemein ist nicht rasch zu ersetzen. Zu der wie gezeigt viele Jahre währenden "Nutzungsdauer" durch Totholzspezialisten ist ja bei Bäumen die etliche Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte dauernde Zeit des Heranwachsens zu rechnen. Totholz und die solches nachliefernden, eben sehr alten Bäume so lange wie möglich zu erhalten ist damit die einzige sinnvolle Strategie zum nachhaltigen Schutz von Totholz bewohnenden Organismen.
Unter diesem Gesichtspunkt muss es nachdenklich stimmen, wenn heute - erfreulicherweise - überall neue Streuobstwiesen angelegt werden: Erst unsere Enkel werden es vielleicht erleben, dass in den Bäumchen die Vierpunktameise nistet, oder gar Wendehals und Steinkauz brüten. Als Ersatz für die Rodung alten Baumbestandes haben Neuanlagen bestenfalls Alibifunktion.
Literatur
BUSCHINGER, A. (1968): Mono- und Polygynie bei Arten der Gattung Leptothorax Mayr (Hymenoptera Formicidae). Ins. Soc. 15,217-226
BUSCHINGER, A. (1983): Sexual behavior and slave raiding of the dulotic ant, Harpagoxenus sublaevis (NYL.) under field conditions (Hym.,Formicidae). Ins. Soc. 30, 235-240
BUSCHINGER, A.(1996): Lebensweise, Bestandssituation und Konsequenzen für den Schutz holzbewohnender Ameisen in Deutschland. Ameisenschutz aktuell 10,1-7
HEINZE, J., N. LIPSKI & B. Hölldobler (1992): Reproductive competition in colonies of the ant Leptothorax gredleri. Ethology 90, 265-278
NZNRW (1990): Ökologische Bedeutung von Alt- und Totholz in Wald und Feldflur. Naturschutzzentrum Nordrhein-Westfalen, Seminarberichte, Heft 10, 4.Jg.1990
A. Buschinger (Diskussion) 15:31, 14. Okt. 2013 (CEST)