Ameisenstiche
Eine Begegnung mit australischen Meat Ants, Gattung Iridomyrmex
In Australien sind sie mit 63 Arten und Unterarten überall verbreitet, die so genannten Meat Ants oder „Fleischameisen“. Der Name rührt vielleicht daher, dass sie stets rasch an einem Kadaver auftauchen, etwa einem im Straßenverkehr getöteten Känguru. Die Ameisen sind als höchst aggressiv bekannt; sie dulden kaum andere Arten in ihrer Umgebung.
Charakteristisch sind die oft beträchtlich großen Hügelnester aus Erde, Sand und kleinen Steinchen, von denen ausgeprägte Straßen in die Umgebung führen. Die Völker können bis über 300.000 Individuen stark werden. Sie sind Generalisten, die neben Honigtau und tierischer Beute sowie Aas auch gerne Elaiosomen (nährstoffreiche Anhängsel an Pflanzensamen) verzehren. Lokal werden Superkolonien ausgebildet, die sich mit zahlreichen Nestern über 650 und mehr Meter Durchmesser ausdehnen können. In den kühlen Wintermonaten bilden sie aus Pflanzenmaterial Nester an der Bodenoberfläche aus, während sie in den heißen Sommermonaten unterirdische Nester in schattigen Bereichen beziehen. (nach Shattuck 1999: Australian Ants).
Auf einer Urlaubsreise durch das südliche Westaustralien im September/ Oktober 2006 sind wir im Cape Arid Nationalpark (östlich von Esperance) in eine Meat Ant-Superkolonie geraten. Der Park schließt übrigens den ersten Fundort der berühmten „Dinosaurier-Ameise“ Nothomyrmecia macrops ein (1931 wurden 2 Arbeiterinnen dort gefunden; mehrere spätere Expeditionen brachten keine weiteren Tiere zu Tage. Erst 1978 wurde sie wieder gefunden, allerdings einige tausend Kilometer weiter östlich, „fast“ schon bei Adelaide. Dort hat man sie inzwischen an mehreren Orten entdeckt, so dass intensive Forschung darüber betrieben werden konnte).
Wir wollten wandern, und stießen auf das einladende Schild auf Bild 1.
Dort gibt es also eine „Ameisen-Beobachtungs-Plattform“ (es war ein wackeliges Bänkchen). Empfohlen werden „geschlossene Schuhe, da die Ameisen sehr aktiv sein können. Autsch!“ Also nix wie hin! In der Tat, überall war der Boden mit Ameisen übersät, der Fußpfad diente ihnen als bequeme Straße, und die Hügel sind beträchtlich groß (Bild 2).
Andere Wanderer hatten bereits Steine auf den Hügel geworfen, wohl um sich an den rasenden Ameisen zu ergötzen. Ich ließ mich erst mal an dem Haufen fotografieren, dann drehte ich einen der Steine um, obwohl er schon, so wie die ganze Nestoberfläche, dicht von Ameisen belaufen war (Bild 3).
Gerade noch konnte ich einen Blick in Nestkammern mit Brut werfen (Bild 4), dann war nichts mehr zu sehen als ein dicker „Belag“ von wimmelnden Ameisen (Bild 5). Nicht nur auf dem Nest, wie ich schnell zu spüren bekam: Auch an den Jeans bis hinauf zum Gürtel, außen und innen!
Ich sprang auf die angrenzende, freie Felsplatte. Mit jedem festen Schritt hinterließ ich eine „Pfütze“ wimmelnder Ameisen; im Moment sah es so aus als sei ich gerade mit nassen Klamotten aus dem Wasser gekommen. Noch beim Ausziehen von Stiefeln und Socken am Abend hatte ich einen ganzen Ameisenfriedhof darin! Das Beißen der Tausende von Ameisen war erträglich, Säure haben sie nicht, und die Wehrsekrete haben mir nichts getan.
Im Weitergehen trafen wir auf viele Hügel dieser Art. An einem davon hatte sich ein Ameisenigel mit Sinn für Symmetrie zu schaffen gemacht (Bild 6). Das hätte ich sehen mögen, wie der von den Ameisen eingehüllt wurde!
Der Weg hat sich auch sonst gelohnt. Wir waren ja wegen der Frühjahrsblüte nach Westaustralien gereist, und die Region ist für ihre zahllosen Orchideen-Arten berühmt. Bild 7 zeigt eine Spider Orchid (Spinnen-Orchidee) als Kostprobe.
Und dann, an der Küste, kam das ganz große Erlebnis: In der Bucht lagen zwei Walmütter mit Jungtieren (Bild 8)!
Es ist der "Southern Right Whale" (der „Richtige Wal“ der Walfänger, weil er viel Fett hat und so nach dem Harpunieren an der Oberfläche bleibt; ein Verwandter des Blauwals). Der Southern Right Whale wird 15-18 m lang. Das Jungtier kommt mit 6 m Länge zur Welt und mit einem Gewicht von 1,5 Tonnen: Das entspricht 20 Durchschnitts-Menschen mit je 75 kg. Für Haie ist der Säugling damit schon zu groß als Beute. Mindestens eine Stunde haben wir ihnen von einem Kliff aus zugesehen, konnten beobachten, wie sich Mutter und Kind seitlich Bauch zu Bauch drehten, so dass das Junge beim Trinken auch atmen kann. Und schließlich, es war gerade mal warm genug, entschloss ich mich, aus der sandigen Bucht seitlich des Kliffs ein wenig auf die Tierchen zu zu schwimmen. Meine Frau hat hinterher behauptet, ich sei ihnen auf 10 m nahe gekommen. Meiner Schätzung nach waren es eher 50 m, aber egal: Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, mit diesen Giganten die Badewanne zu teilen! Angst? Nein. Man kann ja Gottvertrauen haben; Jonas ist auch wieder raus gekommen. Oder man macht’s mit Zoologie: Durch den kaum armdicken Ösophagus passt ein so großes Beutetier wie ich nicht hindurch, und als Feind bin ich zu mickrig um ernst genommen zu werden ;-)
Ameisen können im allgemeinen mit ihren Kiefern (Mandibeln) beißen. Nur die Angehörigen der Unterfamilie Formicinae (darunter Formica = Waldameisen; Lasius = Wegameisen; Camponotus = Rossameisen) spritzen ein Giftsekret auf den Angreifer, entweder über einige Entfernung, oder aber direkt auf die Bissstelle. Als wirksame Substanz enthält das Sekret die Ameisensäure. Ebenso wie die Dolichoderinae haben die Formicinae den Wehrstachel reduziert.
Bei keiner Unterfamilie außer den Formicinae enthält das Gift Ameisensäure. Die Knotenameisen (Myrmicinae: Myrmica = Rote Knotenameisen; Tetramorium = Rasenameisen; Solenopsis = Diebs- und Feuerameisen u.v.a.) und die Urameisen (Ponerinae) haben Giftsekrete, die chemisch den Giften von Bienen und Wespen näher stehen. Wie bei diesen werden die Gifte auch von den Ameisen mit einem Wehrstachel in die Haut injiziert.
Die Wirkung der Gifte ist von Art zu Art verschieden, aber auch für die einzelne Art finden sich ganz erheblich unterschiedliche Angaben. So ist Paraponera clavata (eine sehr große Ponerine aus Süd- und Mittelamerika) als Bullet ant bekannt, deren Stich eben so schmerzhaft ist wie eine Gewehrkugel (engl. "bullet"). Es wird von zuverlässiger Seite berichtet, dass der Stich "ausgewachsene Männer zum Schreien bringt" und dass er drei Tage Bettlägerigkeit zur Folge haben kann. Von Händlern, die diese Art in Deutschland verkaufen, wird ihr Stich als eher harmlos beschrieben: "Hat einen Giftstachel, benutzt ihn aber nur bei Gefahr oder Nestzerstörung. Stich schmerzhaft wie Bienenstich."
Den Stich von Myrmecia gulosa (australische Myrmeciinae) empfand ich als schmerzhaft wie etwa einen Hornissenstich. Schmerz und Schwellung am Fuß gingen nach etwa einer Stunde zurück, bei Kühlung in kaltem Bachwasser.
Kürzlich hatte ich Gelegenheit, die Reaktion auf Stiche der einheimischen, sehr kleinen Rasenameisen (Tetramorium sp.) fotografisch zu dokumentieren. Während der Entnahme einiger Arbeiterinnen der Sklavenhalter-Art Strongylognathus alpinus (Abb. 1) gelang es Arbeiterinnen der Sklavenart Tetramorium sp. mich in die rechte Armbeuge zu stechen. Der Schmerz erinnert in etwa an den durch eine Brennnessel hervorgerufenen. Bild 2 und Bild 3 zeigen die unmittelbar, d.h. innerhalb weniger Minuten, auftretenden geröteten Schwellungen. Juckreiz und Quaddeln verschwinden nach ca. 6 Stunden fast völlig. Etwa 24 Stunden später tritt erneut ein leichter Juckreiz auf, der aber ebenfalls bald wieder verschwindet. Weitere Folgen waren nicht erkennbar.
Dies ist eine ganz normale Reaktion auf die Stiche der Rasenameise (ich bin nicht allergisch). Die erheblich größeren Roten Knotenameisen (Myrmica spp.) rufen eine ähnliche, etwas stärkere Hautreaktion hervor. Insbesondere können sie die menschliche Haut nicht nur an besonders weichen Stellen (Armbeuge, Innenseite des Handgelenks, zwischen Fingern oder Zehen) durchdringen, sondern auch in normalen Bereichen.
Die deutlich größere Manica rubida sticht nach eigener Erfahrung wiederum etwa so heftig wie eine Hornisse. Obwohl auch hier der Schmerz relativ rasch nachließ, war ein betroffener Fuß über mehrere Stunden stark angeschwollen, so dass es unmöglich war, einen Wanderstiefel darüber zu ziehen.
Besonders gefährlich können Stiche im Mund- und Rachenbereich werden. Dies geschieht zum Glück nicht allzu häufig, aber eine Myrmica könnte man schon mal beim Picknick verschlucken, wenn sie sich etwa unter süßem Gebäck oder Obst zu schaffen macht. Mir selbst gelang das Kunststück bei ungeschicktem Umgang mit einem Exhaustor (Saugrohr zum Einsammeln kleiner Insekten). Eine Myrmica rubra stach mich irgendwo im Bereich des Zäpfchens. Die unmittelbare Empfindung war die von lokal begrenzter eisiger Kälte. Der Rachenbereich schwoll an, meine Stimme wurde "piepsig", und das Atmen fiel schwer. Das Ganze geschah auf einer Exkursion mit rund 20 jungen Studierenden. So musste ich halt weiter dozieren. Zum Glück gingen Schwellung und Atembeschwerden bereits nach wenigen Minuten wieder zurück, so dass eine ärztliche Behandlung sich erübrigte. Unbekannt ist, ob die Ameise beim Stich ihre volle Ladung Giftsekret entleert hatte. Insbesondere für Allergiker empfiehlt sich also eine gewisse Vorsicht im Umgang mit solchen Ameisen.
Abb. 1: Nest des Sklavenhalters Strongylognathus alpinus mit der Wirtsart Tetramorium impurum. Die sehr große Kolonie bewohnte den gesamten Steinhaufen. Foto 29.07.05, 9:39, bei Zermatt.
Abb. 2: Nahaufnahme der Quaddeln in meiner Armbeuge, 29.07.05, 9:50
Abb. 3: Übersicht der Quaddeln in der Armbeuge, 9:51. Etwa ein Dutzend Ameisen hatten gestochen.
Ein Größenvergleich der im Text genannten Arten:
1 - eine große Pachycondyla sp., Südamerika. ST: Stachel
2 - Myrmecia sp. (eine der größten Arten); Australien, New South Wales. Dieses Exemplar lag scheintot als "Beute" im Nest einer viel kleineren Rhytidoponers sp. Beim Herausnehmen stach mich die "Leiche" in den Daumen.
3 - Manica rubida; einheimische Art, Stich nach meiner Erfahrung etwa wie der einer Hornisse.
4 - Myrmica rubra; einheimische Art. Eine solche stach mich in den Rachen (vgl. Text).
5 - Tetramorium impurum; einheimische Art. Sie verursachte die in obigen Bildern gezeigten Quaddeln.
(A. Buschinger)