Pseudogynen / Secretergate / Viren: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Ameisenwiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Keine Bearbeitungszusammenfassung
KKeine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 1: Zeile 1:
„'''Pseudogynen'''“ (griech "Schein-Königinnen") sind bei Waldameisen bereits lange bekannt. Man hat sie zunächst so genannt, weil sie normalen Königinnen etwas ähnlich sehen und weil man nicht wusste, was sie zu bedeuten haben. Zeitweilig hatte man den Gastkäfer ''Lomechusa strumosa'' im Verdacht, für die Entstehung von Pseudogynen verantwortlich zu sein. Inzwischen weiß man, dass die Tiere enorm angeschwollene Labialdrüsen (Speicheldrüsen) haben. Diese liegen bei Ameisen im Thorax, mit Ausführgang zum Mund. Ursache ist ein Virus. Ausbreitungs- und Infektionswege sind weitgehend unbekannt.
„'''Pseudogynen'''“ (griech "Schein-Königinnen") sind bei [[Waldameisen]] bereits lange bekannt. Man hat sie zunächst so genannt, weil sie normalen Königinnen etwas ähnlich sehen und weil man nicht wusste, was sie zu bedeuten haben. Zeitweilig hatte man den Gastkäfer ''Lomechusa strumosa'' im Verdacht, für die Entstehung von Pseudogynen verantwortlich zu sein. Inzwischen weiß man, dass die Tiere enorm angeschwollene Labialdrüsen (Speicheldrüsen) haben. Diese liegen bei Ameisen im [[Thorax]], mit Ausführgang zum Mund. Ursache ist ein Virus. Ausbreitungs- und Infektionswege sind weitgehend unbekannt.


Pseudogynen kommen bei ''Formica'' im weiteren Sinne, also auch bei S''erviformica'' und ganz besonders (!) bei ''Raptiformica sanguinea'' vor. Ob es in Nachbarländern, etwa im Mittelmeerraum, andere Erreger gibt, weiß man nicht. Auch ist unbekannt, ob wirklich nur die deformierten Individuen infiziert sind, oder ob auch Tiere den Erreger beherbergen können, denen man äußerlich nichts ansieht. Die Infektion erfolgt wahrscheinlich im Larvenstadium (ob ausschließlich?), denn nur so lässt sich erklären, dass die Tiere bereits im Puppenstadium den auffallend buckligen Thorax entwickeln. Würden adulte Arbeiterinnen infiziert, könnte sich jedenfalls die Form des Thorax nicht mehr verändern.
Pseudogynen kommen bei ''[[Formica]]'' im weiteren Sinne, also auch bei ''[[Serviformica]]'' und ganz besonders bei ''[[Raptiformica sanguinea]]'' vor. Ob es in Nachbarländern, etwa im Mittelmeerraum, andere Erreger gibt, weiß man nicht. Auch ist unbekannt, ob wirklich nur die deformierten Individuen infiziert sind, oder ob auch Tiere den Erreger beherbergen können, denen man äußerlich nichts ansieht. Die Infektion erfolgt wahrscheinlich im [[Larven]]stadium (ob ausschließlich?), denn nur so lässt sich erklären, dass die Tiere bereits im Puppenstadium den auffallend buckligen Thorax entwickeln. Würden adulte Arbeiterinnen infiziert, könnte sich jedenfalls die Form des Thorax nicht mehr verändern.


Dass ''R. sanguinea'' besonders häufig infiziert ist, liegt wahrscheinlich daran, dass sie eben dank ihrer Raubzüge mit vielen Völkern von ''Serviformica'' spp. in Kontakt kommt, somit öfter mal an ein infiziertes Volk gerät.
Dass ''Raptiformica sanguinea'' besonders häufig infiziert ist, liegt wahrscheinlich daran, dass sie eben dank ihrer Raubzüge mit vielen Völkern von ''Serviformica'' spp. in Kontakt kommt, somit öfter mal an ein infiziertes Volk gerät.


Einschlägige Untersuchungen liegen vor von E.T.G. Elton (1989): “On transmission of the labial gland disease in ''Formica rufa'' and ''Formica polyctena'' (Hym., Formicidae)“. Proceedings Koninkl. Nederl. Akad. Wetenschappen Ser. C vol. 92, S. 415-452.
Einschlägige Untersuchungen liegen vor.<ref>E.T.G. Elton (1989) “On transmission of the labial gland disease in ''Formica rufa'' and ''Formica polyctena'' (Hym., Formicidae)“. Proceedings Koninkl. Nederl. Akad. Wetenschappen Ser. C vol. 92, S. 415-452.</ref>


Die Erkrankung wird hier "Labialdrüsenkrankheit" (labial gland disease) genannt. Sie wird von den Pseudogynen bei Fütterung von Labialdrüsensekret (das ist zuckerhaltig) auf Larven übertragen. Nicht alle Larven werden infiziert.
Die Erkrankung wird hier "Labialdrüsenkrankheit" (labial gland disease) genannt. Sie wird von den Pseudogynen bei Fütterung von Labialdrüsensekret (das ist zuckerhaltig) auf Larven übertragen. Nicht alle Larven werden infiziert.
Zeile 14: Zeile 14:
Ebenfalls von E.T.G. Elton, in "Insectes Sociaux" 38, S. 91-93, 1991, wurde veröffentlicht, dass der Erreger noch unbekannt sei. Auch bei einigen nordamerikanischen ''Formica''-Arten kommen "Secretomorphe" (= zusammenfassender Begriff für betroffene Männchen, Weibchen und Arbeiterinnen) vor. Nach dieser Arbeit ist die Erkrankung ein erheblicher Mortalitätsfaktor, verursacht also '''Todesfälle''' unter den infizierten Tieren.
Ebenfalls von E.T.G. Elton, in "Insectes Sociaux" 38, S. 91-93, 1991, wurde veröffentlicht, dass der Erreger noch unbekannt sei. Auch bei einigen nordamerikanischen ''Formica''-Arten kommen "Secretomorphe" (= zusammenfassender Begriff für betroffene Männchen, Weibchen und Arbeiterinnen) vor. Nach dieser Arbeit ist die Erkrankung ein erheblicher Mortalitätsfaktor, verursacht also '''Todesfälle''' unter den infizierten Tieren.


In einem der Ameisenforen schrieb ein User „exe“: „Bei ''Formica japonica'' wurden anscheinend auch Pseudogynen gefunden“.
Bei ''[[Formica japonica]]'' wurden anscheinend auch Pseudogynen gefunden.<ref>Motschoulsky, V. de. (1866) Catalogue des insectes re?us du Japon. Bulletin de la Soci?t? Imp?riale des Naturalistes de Moscou 39: 163-200 Siehe: http://ant.edb.miyakyo-u.ac.jp/E/Taxo/F80706.html</ref>


'''Immer wieder muss darauf hingewiesen werden, dass fremdländische Ameisen bei uns nicht nur selbst zur Gefahr werden können, sondern dass sie auch - zumeist völlig unbekannte - Parasiten und Krankheitserreger mitbringen, die unter Umständen für unsere heimischen Arten zur Gefahr werden können. Aber auch für diese "einheimische" Infektion gilt, dass man ihre Ausbreitung in andere, noch nicht befallene Populationen durch Verschleppung von und Handel mit Ameisen keinesfalls fördern sollte.'''
'''Immer wieder muss darauf hingewiesen werden, dass fremdländische Ameisen bei uns nicht nur selbst zur Gefahr werden können, sondern dass sie auch - zumeist völlig unbekannte - Parasiten und Krankheitserreger mitbringen, die unter Umständen für unsere heimischen Arten zur Gefahr werden können. Aber auch für diese "einheimische" Infektion gilt, dass man ihre Ausbreitung in andere, noch nicht befallene Populationen durch Verschleppung von und Handel mit Ameisen keinesfalls fördern sollte.'''
Zeile 28: Zeile 28:


[[Kategorie:Krankheiten und Parasiten]]
[[Kategorie:Krankheiten und Parasiten]]
==Einzelnachweise==
<references />

Version vom 3. April 2011, 16:52 Uhr

Pseudogynen“ (griech "Schein-Königinnen") sind bei Waldameisen bereits lange bekannt. Man hat sie zunächst so genannt, weil sie normalen Königinnen etwas ähnlich sehen und weil man nicht wusste, was sie zu bedeuten haben. Zeitweilig hatte man den Gastkäfer Lomechusa strumosa im Verdacht, für die Entstehung von Pseudogynen verantwortlich zu sein. Inzwischen weiß man, dass die Tiere enorm angeschwollene Labialdrüsen (Speicheldrüsen) haben. Diese liegen bei Ameisen im Thorax, mit Ausführgang zum Mund. Ursache ist ein Virus. Ausbreitungs- und Infektionswege sind weitgehend unbekannt.

Pseudogynen kommen bei Formica im weiteren Sinne, also auch bei Serviformica und ganz besonders bei Raptiformica sanguinea vor. Ob es in Nachbarländern, etwa im Mittelmeerraum, andere Erreger gibt, weiß man nicht. Auch ist unbekannt, ob wirklich nur die deformierten Individuen infiziert sind, oder ob auch Tiere den Erreger beherbergen können, denen man äußerlich nichts ansieht. Die Infektion erfolgt wahrscheinlich im Larvenstadium (ob ausschließlich?), denn nur so lässt sich erklären, dass die Tiere bereits im Puppenstadium den auffallend buckligen Thorax entwickeln. Würden adulte Arbeiterinnen infiziert, könnte sich jedenfalls die Form des Thorax nicht mehr verändern.

Dass Raptiformica sanguinea besonders häufig infiziert ist, liegt wahrscheinlich daran, dass sie eben dank ihrer Raubzüge mit vielen Völkern von Serviformica spp. in Kontakt kommt, somit öfter mal an ein infiziertes Volk gerät.

Einschlägige Untersuchungen liegen vor.[1]

Die Erkrankung wird hier "Labialdrüsenkrankheit" (labial gland disease) genannt. Sie wird von den Pseudogynen bei Fütterung von Labialdrüsensekret (das ist zuckerhaltig) auf Larven übertragen. Nicht alle Larven werden infiziert. "Normale" Arbeiterinnen und Königinnen scheinen die Krankheit nicht zu übertragen und sollen auch als Adulte nicht daran erkranken, wenn sie von einer Pseudogyne gefüttert werden.

In der Arbeit werden "Secretergate" (infizierte Arbeiterinnen), "Secretogyne" (Königinnen) und "Secretaner" (Männchen) unterschieden. "Secretogyne", also Königinnen, die dank der Erkrankung noch buckliger sind als normale, können begattet werden und Eier legen; allerdings gibt es auch solche Tiere, die trotz Begattung keine Eier ablegen.

Ebenfalls von E.T.G. Elton, in "Insectes Sociaux" 38, S. 91-93, 1991, wurde veröffentlicht, dass der Erreger noch unbekannt sei. Auch bei einigen nordamerikanischen Formica-Arten kommen "Secretomorphe" (= zusammenfassender Begriff für betroffene Männchen, Weibchen und Arbeiterinnen) vor. Nach dieser Arbeit ist die Erkrankung ein erheblicher Mortalitätsfaktor, verursacht also Todesfälle unter den infizierten Tieren.

Bei Formica japonica wurden anscheinend auch Pseudogynen gefunden.[2]

Immer wieder muss darauf hingewiesen werden, dass fremdländische Ameisen bei uns nicht nur selbst zur Gefahr werden können, sondern dass sie auch - zumeist völlig unbekannte - Parasiten und Krankheitserreger mitbringen, die unter Umständen für unsere heimischen Arten zur Gefahr werden können. Aber auch für diese "einheimische" Infektion gilt, dass man ihre Ausbreitung in andere, noch nicht befallene Populationen durch Verschleppung von und Handel mit Ameisen keinesfalls fördern sollte.

Pseudogynen-web.jpg

Das Bild zeigt links oben eine normale Königin von Formica polyctena (die Farbe ist dank langer Lagerung in Alkohol stark ausgeblichen!). Rechts oben ist eine normale, gesunde Arbeiterin von F. polyctena. Die beiden Tiere unten sind Pseudogynen derselben Art. Die Größe entspricht der von Arbeiterinnen; der Thorax ist hoch bucklig aufgewölbt, so dass die Tiere wie verkleinerte Königinnen wirken.


Pseudogynen-Bretz-web.jpg

Dieter Bretz, Herausgeber der Zeitschrift „Ameisenschutz aktuell“ der DASW, hat dieses Bild zur Verfügung gestellt. Es zeigt eine normale Arbeiterin (links) von Formica polyctena im Fühlerspiel mit einer Pseudogynen (rechts).

Einzelnachweise

  1. ^ E.T.G. Elton (1989) “On transmission of the labial gland disease in Formica rufa and Formica polyctena (Hym., Formicidae)“. Proceedings Koninkl. Nederl. Akad. Wetenschappen Ser. C vol. 92, S. 415-452.
  2. ^ Motschoulsky, V. de. (1866) Catalogue des insectes re?us du Japon. Bulletin de la Soci?t? Imp?riale des Naturalistes de Moscou 39: 163-200 Siehe: http://ant.edb.miyakyo-u.ac.jp/E/Taxo/F80706.html