Anatomie eines Wespennestes

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Anatomie eines Wespennestes (lat./griech. “das Aufschneiden”)

Alljährlich im Frühjahr habe ich das Problem: Wespenköniginnen gründen ihre Kolonien in meinem Gartenhäuschen. Manchmal sind es nur 3-4, aber es waren auch schon mal über 35!

Jetzt, im April/Mai 2004, haben es wieder einige versucht.

Leider muss ich sie beseitigen, es wäre zu gefährlich, wenn die Enkel zu Besuch kommen...

Umsiedeln geht nicht: Ich habe kein weiteres, unbenutztes Gartenhaus, und die Nachbarn wollen sie auch nicht haben. So musste ich wieder einmal zur Untat schreiten. Ich entschloss mich, wenigstens ein paar lehrreiche Bilder davon zu machen.

Ein Nest, am Balken unter der Decke, beobachtete ich schon seit einigen Wochen. So lange die Königin allein war, hat es mich nicht gestört. Jetzt aber waren die ersten Arbeiterinnen geschlüpft.

Dolisax1.JPG

Bild 1 zeigt das Nest am 20.05.04, die Königin fühlte sich gestört und kam kurz heraus. Die Reißzwecke links vom Nest dient als Größenvergleich.


2-Dolisax.jpg

Die Königin und eine Arbeiterin (Bild 2) wurden abgefangen, zur Bestimmung: Es ist Dolichovespula saxonica, die “Sächsische Wespe”.


3-Dolisax.jpg

Bild 3: Das Nest wurde mit dem Messer vorsichtig abgetrennt Die halbkreisförmigen Reste zeigen, wo die drei Nesthüllen am Balken befestigt waren. Die eigentliche Wabe hing an einem Stielchen in der Mitte herab, das Stielchen war an der Balkenkante befestigt.

Mit der Schere wurden von den Hüllen kreisförmige Teile abgeschnitten. In Bild 4 sind die noch ineinander steckenden Hüllen, deren abgetrennte Unterteile mit dem Flugloch, die bisher noch einzige Wabe und das Dach mit der breiten Anheftungsstelle zu erkennen.

Vergrößert (Bild 5) zeigt sich, dass die Wabe in der Mitte drei Zellen ohne Deckel umfasst: Es sind die drei ersten Zellen, aus denen zwei Arbeiterinnen gerade geschlüpft sind, die dritte steckt noch drin und putzt, wenig beeindruckt, ihre “Puppenwiege”. Um sie herum sind 12 Zellen mit weißen Gespinstdeckeln angeordnet. Sie enthalten Arbeiterinnenpuppen in verschiedenem Entwicklungszustand, sicher einige davon bereit, in den nächsten Tagen zu schlüpfen.

Weiter außen erkennt man dicke, fast zur Verpuppung reife Larven. Die meisten kehren den Rücken nach außen, was an dem schmalen, grauen Streifen zu erkennen ist: Das Dorsalgefäß oder Herz der Larve!

Noch weiter außen (Bild 6) sind nicht fertig gestellte, kürzere Zellen zu sehen, in denen aber auch bereits kleine Larven heranwachsen, ganz außen befinden sich kleine Zellenanlagen mit Eiern, in vier Zellen rechts vorn sind diese zu erkennen.

Bild 7: Der obere Bereich der Nesthülle, in der Mitte das Stielchen, an dem die Wabe abgetrennt wurde (dunkles Ende des Stielchens).

Bild 8: Das “Dach” der Wabe, in der Mitte ist der Ansatz des Stielchens zu sehen.

Bild 9: Die Wabe wurde etwas außerhalb der Mitte durchgeschnitten. Man sieht im Zentrum ein Ei: Sofort nach dem Schlüpfen der ersten Arbeiterinnen hat die Königin die leer gewordene Zelle wieder bestiftet. Anders als bei den peripheren, neuen Zellen, ist das Ei hier nicht am Boden, sondern an der Zellenwand befestigt. Davor liegen zwei aus den Zellen genommene, verpuppungsreife Larven. Links und rechts in den angeschnittenen Zellen zwei noch ungefärbte Puppen, die braunen Flecken oben markieren die sich langsam färbenden Augen.

Neben der Gartenhütte, unter ein paar Betonplatten, nistet Myrmica rubra. Sie liefen eifrig suchend umher, und so wollte ich mal sehen, ob sie zu ein paar Wespenlarven hin rekrutieren würden. Eiweißbedarf sollten sie haben, denn in ihren Nestern wachsen Massen von überwinterten Larven heran.

Bilder 10, 11: Mit der Rekrutierung war’s allerdings nicht weit her: Lange Zeit bemühten sich drei Arbeiterinnen, jeweils eine der Larven allein Richtung Nest zu schleppen. Erst nach gut einer Stunde, ich hatte die Larven inzwischen angeschnitten, so dass sie dank ihres Inhalts festgeklebt waren, hatte sich eine kleine Gruppe von Myrmica -Arbeiterinnen eingefunden. Sie zerkleinerten die Larve bzw. leckten den flüssigen Inhalt auf.

So fanden die Wespenlarven dann doch noch eine “biologische” Verwendung, und ich hatte ein etwas leichteres Gewissen.

Das zumindest für Nicht-Fachleute Erstaunlichste dürfte ja die Tatsache sein, dass ALLES, was oben in den Bildern von dem Wespennest gezeigt wird, das “Werk” der einen, einzigen Königin ist: Bau der Nesthüllen und der Wabe, Eier legen, massenhaft Futter beischleppen (tierische Beute!), die Larven reihum füttern .... Die ersten helfenden Arbeiterinnen waren ja sichtlich soeben erst geschlüpft, konnten noch nichts zu dem Werk beigetragen haben. Wenn man das mit einer etwa ebenso großen Camponotus-Königin vergleicht, so fällt diese doch stark ab: Sich eingraben, gerade mal 3-5 Arbeiterinnen und ein paar Larven aufziehen, das war’s schon. Und dann braucht sie auch noch zwei Jahre dafür statt der 6 Wochen unserer Wespenkönigin. Und auch die Ameisenarten, die nicht klaustral ihre Kolonien gründen, sondern so wie die Wespenkönigin Futter von außen beischaffen müssen, sind keinesfalls schneller oder effektiver.

PS zum Schluss: Die Vatertags-Fotosafari im Garten brachte noch viele schöne "Abschüsse". Einen davon möchte ich Euch nicht vorenthalten: Den "Odenwälder Kolibri" (Diptera, Bombyliidae) (Bild 12).

Diese "Wollschweber" schießen ihre Eier in die Bauten solitärer Wespen und Bienen. Zur Tarnung sind sie bei manchen Arten mit Sand beklebt, und diesen sammelt das Weibchen zuvor in einem Borstenkranz am Hinterende.