Winterruhe

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Allgemein

Ursprünglich kommen Insekten aus warmen und feuchten Gebieten dieser Erde, wo der jahreszeitliche Wechsel keine kalten Winter kennt. Die großartigste Vielfalt von Insektenarten findet sich so auch in tropischen Regenwäldern (von den weltweit über 11.000 bekannten Ameisenarten sind nur 111 in Deutschland zu finden).

Um auch in kältere Gebiete der Erde vordringen zu können, mussten alle Insektenarten Europas Kälte-Strategien entwickeln, denn alle Insekten sind heterotherm, d.h. wechselwarm. "Ihre Körperwärme ist von der Umgebungstemperatur weitgehend abhängig. Höhere soziale Insekten, wie Honigbienen und Waldameisen, sind in der Lage, diesen Ökofaktor teilweise zu kontrollieren und sich zumindest im Nest eine geregelte, erhöhte Temperatur zu schaffen." (Buschinger, Alfred: Staatenbildung der Insekten. Darmstadt: Wiss. Buchges., 1995. S. 14) Diese Fähigkeit schützt die Insekten zum Teil vor kurzfristigen Temperaturschwankungen, etwa zwischen Tag und Nacht oder bei kürzeren Kaltwetterperioden. Allerdings ist keine einheimische Ameisenart in der Lage das ganze Jahr über aktiv zu sein. Die Völker müssen sich dem Winter beugen: Das gesamte Volk hält eine Winterruhe. Anders als bei vielen Wespen- und Bienen-Arten überwintern nicht nur die Königinnen, sondern auch die Arbeiterinnen (als Imago) oft auch die Larven.

Der Zeitpunkt, wann ein Volk in die Winterruhe verfällt, wird durch exogene und endogene Faktoren bestimmt. Die Ameisen haben also sozusagen zwei "Uhren", an denen sie ablesen, wann Winterruhe-Zeit ist: eine "innere Uhr" und eine äußere (Wetter und Temperatur).

Einige Arten vertrauen mehr der einen, andere mehr der anderen Uhr. So ist es bei einigen Arten möglich durch verkürzte Temperaturzyklen mehrere "Jahresläufe" innerhalb von 12 Monaten vorzutäuschen. Andere Arten verlassen sich mehr auf die "endoge Uhr" und verhalten sich unabhängiger von der Außentemperatur. Fast alle Arten verzichten jedoch (sehr zu ihrem Schaden) auf eine Winterruhe, wenn diese nicht durch Temperatursenkung von außen mit angezeigt wird. Einzige Ausnahme scheinen hier die Camponotus-Arten zu sein, die auch bei konstanter Temperatur Winterruhe halten. Doch sind dem Verfasser keine Untersuchungen bekannt, die die Fertilität von Camponotus-Völkern in Abhängigkeit zur Temperatur vergleichen. D.h. eine Absenkung der Temperatur schadet sicher nicht. Jedoch ist dem Verfasser auch nicht bekannt, ob und wenn ja, in welchem Maße eine erhöhte Temperatur während der selbständig eingeläuteten Winterruhe den Tieren vielleicht doch schadet.

Generell kann gesagt werden: In der freien Natur ist die Lebensweise der Ameise eher als Kampf gegen die Kälte zu verstehen. Bei Innenraum-Formicarien dagegen muss der Halter / die Halterin vielmehr darauf achten, dass die Tiere nicht zu lange und zu hohen Temperaturen ausgesetzt sind. Über Monate hinweg in ständiger Raumtemperatur leben zu müssen - ohne Tag- / Nacht-Wechsel und ohne Schlechtwetterperioden vor allem aber ohne Winterruhe - darauf sind die einheimischen Ameisen in ihrer Evolution nicht vorbereitet worden. Sie reagieren mit Larvensterben, Arbeiterinnensterben, geminderter oder vollkommen eingestellter Fortpflanzungstätigkeit. Sprich: Früher oder später wird das Volk aussterben.

Besonderheiten

Was man bei einer Unterbrechung der Winterruhe bei Ameisen wissen und beachten muss: Vor der Winterruhe entleeren die meisten Tiere den Darm, auch den Kropf, und die Larven verlieren viel Wasser. Damit werden die "Körpersäfte" (Hämolymphe und Zellplasma) sozusagen "eingedickt", der Gehalt an Salzen, Glyzerin und anderen niedermolekularen Verbindungen steigt, der Gefrierpunkt der Flüssigkeiten wird herabgesetzt. So überstehen die Tiere auch Minusgrade, ohne eigentlich zu "gefrieren" (Glysantineffekt im Autokühler!).

Gibt man den Tieren bei einer zwischenzeitlichen Aufwärmung z.B. Honigwasser, werden sie entsprechend wieder empfindlicher gegen Frost! Das kann von Bedeutung sein, wenn man seine Ameisen etwa auf Balkon oder Terrasse überwintert, und wenn doch noch eine strenge Frostperiode kommen sollte. Freilebende Ameisen mögen an so ein paar warmen Tagen auch schon herumlaufen. Aber: Sie finden keinen Honigtau! Und vom überreichlich vorhandenen Regenwasser werden sie kaum allzu viel trinken.

Empfohlene Zeiten

Einheimische Arten: Anfang Oktober bis Ende März

Ansonsten MUSS man keinesfalls die natürlichen 6 Monate Winterruhe einhalten. Auch drei Monate reichen aus, um bei der Königin erneute Eiablage zu ermöglichen, und um überwinterte Larven zum Weiterwachsen anzuregen. Wer es geschickt anstellt, verbraucht halt eine nur kurz überwinterte Kolonie in der Zeit, in der andere in ihren Formikarien kein Leben haben, erfreut sich an der Aktivität, und tauscht die Kolonie im Mai/ Juni gegen eine neue aus (schenkt der zu früh ausgewinterten die Freiheit). Wenn man die Kolonie länger halten will, muss man halt 6 Monate nach dem Ende des Kurzwinters, das wäre dann ca. Ende Juni, das Volk wieder in Wintertemperatur bringen. Denn der "Sommer" lässt sich nicht beliebig verlängern. Dann kann man sie 3 Monate später, also im Anfang Oktober, bereits wieder in Frühjahrsbedingungen setzen und sich über Weihnachten dran erfreuen (vorausgesetzt natürlich, dass die Tiere so lange überleben).

Zu beachten

TROPISCHE Ameisen: Benötigen keine Winterruhe (z.B. Blattschneider, Oecophylla, Pharaoameise u.a.). Manche Arten aus den wechselfeuchten Tropen passen sich allerdings an die Trocken- und Regenzeiten an, ziehen z.B. Geschlechtstiere so auf, dass sie in der Regenzeit schwärmen können, und sind in der heißen Trockenzeit ziemlich inaktiv.

EINHEIMISCHE Ameisen bzw. Arten aus einem Jahreszeiten-Klima: Benötigen fast ALLE eine Winterruhe bei niedrigen Temperaturen. Werden sie im Winter warm gehalten, kann die Reaktion verschieden ausfallen:

Z.B. Camponotus ligniperda und C. herculeanus werden auch bei normalen Zimmertemperaturen (um 20°C) inaktiv, fressen kaum noch etwas und hocken dicht gedrängt im Nest, sie haben einen ?endogenen Jahresrhythmus? (B.Hölldobler 1961: Temperaturunabhängige rhythmische Erscheinungen bei Rossameisen; Insectes soc. 8, 13-22). Nach Ablauf von 5-6 Monaten werden sie ?von alleine? wieder munter.

Z.B. Myrmica- und Lasius-Arten: Ohne Überwinterung bleiben sie etwas aktiv, aber ziehen kaum noch Larven auf. Wenn man Geschlechtstiere haben möchte, MÜSSEN deren Larven 4-5 Monate Winterbedingungen haben, ein paar Tage reichen keinesfalls. Da sie zumeist im Boden überwintern, ist eine relativ konstante Temperatur von 8-10°C geeignet, also z.B. Gemüsefach im Kühlschrank. Regelmäßig Feuchtigkeit kontrollieren! Vertrocknen ist die häufigste Ursache für den Tod von Völkern in der Überwinterung, Ersaufen die zweithäufigste. Füttern nicht erforderlich. Überwinterung ist auch nicht jederzeit (etwa im Sommer) möglich: Die Tiere zeigen an, wenn es so weit ist: Dann geht die Eiablage zurück, die Larven verpuppen sich nicht mehr, meist erscheinen sie nicht mehr prall, sehen verschrumpelt und faltig aus, die Arbeiterinnen werden träge. Die Winterruhe kann ohne Schaden auf 5-6, ja 8 Monate ausgedehnt werden. Danach LANGSAM über mehrere Tage in höhere Temperaturen bringen, nicht plötzlich von 10°C auf 30°C! ? Ohne Winterruhe gehen die Völker früher oder später einfach ein.

Z.B. Leptothorax- und Temnothorax-Arten, die in exponierten Nistgelegenheiten wohnen (Ästchen am Boden oder hoch in Bäumen, in Steinspalten etc.): Sind harten täglichen Temperatur-Rhythmen ausgesetzt (z.B. im Sommer nachts 12-15°C, tags 35-40°C; im Winter nachts minus 10°C, tags bei Sonnenschein plus 15-20°C!). Daran sind sie so angepasst, dass sie ohne diese Rhythmen (und besonders bei Überwinterung in konstanter Temperatur) kaum noch Brut aufziehen. Nach Arten und Artengruppen (jetzt: Gattungen) verschieden. Für T. nylanderi (bewohnt tote Ästchen, hohle Eicheln etc. am schattigen Waldboden) sind konstant + 10°C für 4-5 Monate geeignet. T. unifasciatus (in Sonnen-exponierten Steinspalten, oder auch Totholz) hat sich ein Wechsel von 0°C zu + 10°C (je 12 Stunden) über 4-5 Monate bewährt. Das ist im Haushalt kaum zu schaffen. L.acervorum: Ebenfalls in toten Ästchen am Waldboden, aber Sonnen-exponiert (z.B. trockener, offener Kiefernwald), ist mit einem verkürzten Winter von nur 6 Wochen bei täglichem Wechsel 0 / 10°C zufrieden, übersteht aber auch bis zu 1 Jahr unter solchen Bedingungen und zieht danach reichlich Geschlechtstiere auch aus der übermäßig lange überwinterten Brut auf.

Fast alle einheimischen Arten überwintern mit Larven (nicht: Eiern oder Puppen), Ausnahme sind die Waldameisen (Formica), die ohne Brut überwintern. Die Larvalentwicklung dauert z.T. mehr als 1 Jahr, sogar 2 Jahre (manche Leptothorax, Temnothorax, Camponotus), zumindest, wenn daraus Geschlechtstiere werden sollen. Bei Myrmica wird fast-brood= "rapid brood" unterschieden (Entwicklung vom Ei bis zur Arbeiterin innerhalb eines Sommers) von slow brood (Entwicklung von im Spätsommer / Herbst abgelegten Eiern zu überwinternden Larven, aus denen im folgenden Sommer junge Geschlechtstiere entstehen können; bei ungünstigen Bedingungen wie zu kleinem Volk, zu wenig oder ungeeigneter Nahrung, entstehen auch aus solchen Larven nur Arbeiterinnen und vielleicht ein paar Männchen).

Siehe auch