Diskussion:Winterruhe

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Gibt es irgendwelche Belege dazu, dass Lasius niger keine Geschlechtstiere aufziehen, wenn sie nicht mindestens 5 Monate Winterruhe gehabt haben? Selbes gilt für die Aussage, dass sie ohne Winterruhe einfach eingehen.

Würde mich über Quellen freuen um genauer nachlesen zu können.

Antwort:

Eine leicht zugängliche Arbeit ist diese: http://www.myrmecologicalnews.org/cms/images/pdf/volume4/mn4_25-35_non-printable.pdf

S. 28 wird über die verschiedenen Temperaturbedingungen berichtet. (Die damalige Gattung Epimyrma heißt jetzt Myrmoxenus). Über die Bedeutung von Temperaturrhythmen (auch in der Überwinterung) habe ich bereits hier publiziert:

Buschinger, A. 1973: The Role of Daily Temperature Rhythms in Brood Development of Ants of the Tribe Leptothoracini (Hymenoptera; Formicidae). In: Effects of Temperature on Ectothermic Organisms. Ed.: W. Wieser, 229-232, Springer Berlin-Heidelberg-New York. (Weniger leicht zugänglich, damals gab’s noch kein Internet).

Wir haben in meinem Labor in ca. 40 Jahren zahlreiche Ameisenarten gehalten und viele sogar über Generationen gezüchtet. Dies waren hauptsächlich Arten der Gattungen Temnothorax und Leptothorax sowie die jeweils zugehörigen Sozialparasiten. Ohne Winterruhe gab es bei keiner dieser Arten jemals weibliche Geschlechtstiere (selten wurden nach einer unzureichenden Winterruhe einzelne Männchen aufgezogen).

Prinzipiell gab es eine komplette Geschlechtstieraufzucht bei Temnothorax spp. und deren Parasiten Chalepoxenus spp., Myrmoxenus spp. und den amerikanischen Protomognathus sowie Temnothorax duloticus und T. minutissimus nur nach einer „langen“ Winterruhe von 5-6 Monaten.

Die Gattung Leptothorax mit ihren Sozialparasiten Harpagoxenus spp. und L. kutteri/ goesswaldi/ pacis zieht auch nach einer Winterruhe von nur 6 Wochen bereits die nächste Geschlechtstierbrut auf, geeignete Wintertemperaturen (Tagesrhythmen!) vorausgesetzt.

Wir haben NICHT gezielt untersucht, welche Arten nun mit einer besonders kurzen Winterruhe auskommen, oder gar „warm durchgepflegt“ werden können. Das war als Forschungsziel absolut unattraktiv und wäre auch mit Sicherheit nicht finanziert worden. Wichtig war die Produktion von Geschlechtstieren für die Weiterzucht.

Die Angaben zu den einzelnen von uns untersuchten Arten sind jeweils im Methodenteil der Publikationen enthalten.

Meine Empfehlung in den Halterforen war daher immer nur: Die Ameisen so naturnah wie möglich halten, und dazu gehört nun mal eine Überwinterung. So lange es nicht für jede gehaltene Art einzeln untersucht ist (nach wiss. Kriterien!), ob sie eine Überwinterung benötigt, und ggf. wie lange und bei welchen Temperaturen, so lange ist man mit einer naturnahen Überwinterung auf der sicheren Seite.

Die Ergebnisse meiner Untersuchungen wurden in den Ameisenhalter-Foren vielfach auf andere Arten und Gattungen übertragen. Das ist im streng wissenschaftlichen Sinne unzulässig. In den Foren entwickelt das Thema „Überwinterung“ leider, wie so viele andere, ein Eigenleben. Viele Empfehlungen und besonders Warnungen, etwa vor dem sofortigen Eingehen einer Kolonie usw., sind unsinnig, weil nicht durch entsprechende Experimente belegt. Sie sind also aus der Luft gegriffen! Das gilt auch für die Empfehlungen zur mehr oder weniger langen Winterruhe von Ameisen aus dem Mittelmeerraum, sowie für die dazu empfohlenen Temperaturen.

Selbst die Verkürzung der Lebensdauer von Königinnen/ Kolonien einheimischer Arten bei „warmem Durchpflegen“ ist lediglich eine Vermutung, die bisher nie experimentell überprüft wurde.

Man kann dafür leider auch nicht die Haltungsberichte verschiedener Halter über einzelne Völker vergleichen; zu verschieden sind die jeweiligen Bedingungen. Und bekanntlich überleben die meisten Völker in der Amateur-Haltung gar nicht so lange, dass man eine unterschiedliche Lebensdauer auf den Faktor „Überwinterung ja/ nein“ zurückführen könnte, von der unterschiedlichen Dauer und den gewählten Temperaturen ganz zu schweigen. Auch um festzustellen, ob nach einer „warmen“ Überwinterung Geschlechtstiere entstehen, müssen die Kolonien genügend lange überleben. (A. Buschinger 07. Feb. 2009)