Selbstmedikation mit Harz: Unterschied zwischen den Versionen
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
DmdM (Diskussion | Beiträge) KKeine Bearbeitungszusammenfassung |
||
Zeile 2: | Zeile 2: | ||
– So oder ähnlich waren in jüngerer Zeit einige Berichte in verschiedenen Presseorganen betitelt. | – So oder ähnlich waren in jüngerer Zeit einige Berichte in verschiedenen Presseorganen betitelt. | ||
Waldameisen, speziell die im Schweizer Jura häufige Formica paralugubris, tragen Harzbröckchen von Nadelbäumen ein und lagern sie auf den Nesthügeln ab. Baumharz wirkt in gewissem Umfang antibiotisch, kann teilweise Pilzsporen und Bakterien abtöten. | [[Waldameisen]], speziell die im Schweizer Jura häufige [[Formica paralugubris]], tragen Harzbröckchen von Nadelbäumen ein und lagern sie auf den Nesthügeln ab. Baumharz wirkt in gewissem Umfang antibiotisch, kann teilweise Pilzsporen und Bakterien abtöten. | ||
Die an der Universität Lausanne arbeitende Forschergruppe von Michael Chapuisat hat sich der Sache angenommen und wollte herausfinden, ob die Waldameisen das Harz tatsächlich eintragen um ihr Nestmaterial zu sterilisieren, damit also eine „Selbstmedikation“ betreiben. | Die an der Universität Lausanne arbeitende Forschergruppe von Michael Chapuisat hat sich der Sache angenommen und wollte herausfinden, ob die Waldameisen das Harz tatsächlich eintragen um ihr Nestmaterial zu sterilisieren, damit also eine „Selbstmedikation“ betreiben. | ||
Zeile 8: | Zeile 8: | ||
So ein scheinbar „kluges“ Verhalten von so niederen Organismen wie Ameisen ruft natürlich Aufsehen hervor und veranlasst so manchen Journalisten, die Berichte der Gruppe mehr oder weniger wahrheitsgetreu weiter zu interpretieren und auszumalen. | So ein scheinbar „kluges“ Verhalten von so niederen Organismen wie Ameisen ruft natürlich Aufsehen hervor und veranlasst so manchen Journalisten, die Berichte der Gruppe mehr oder weniger wahrheitsgetreu weiter zu interpretieren und auszumalen. | ||
Was daran ist Tatsache? | Was daran ist Tatsache? | ||
Dass Waldameisen trockene Harzbröckchen in ihre Nester eintragen und in die Nestkuppel einbauen, ist schon sehr lange bekannt. Nach Messungen der Gruppe Chapuisat können das in einem einzigen Nesthügel bis zu 20 kg werden. Das Harz wird besonders bei Sonneneinstrahlung weich, verklebt die oberen Nadelschichten, verfestigt den Bau und kann auch eine gewisse Imprägnierung gegen Regenwasser bewirken. | Dass Waldameisen trockene Harzbröckchen in ihre Nester eintragen und in die Nestkuppel einbauen, ist schon sehr lange bekannt. Nach Messungen der Gruppe Chapuisat können das in einem einzigen Nesthügel bis zu 20 kg werden. Das Harz wird besonders bei Sonneneinstrahlung weich, verklebt die oberen Nadelschichten, verfestigt den Bau und kann auch eine gewisse Imprägnierung gegen Regenwasser bewirken. | ||
Zeile 21: | Zeile 21: | ||
- Man kann beobachten, dass Waldameisen häufig Objekte geeigneter Größe als Nestmaterial eintragen, unabhängig davon, ob sie besonders geeignet sind. So findet man auf Nestern von Formica pratensis oft eine Deckschicht aus Kotklümpchen von Feldhase oder Kaninchen, sicher kein sehr hygienisches Material. | - Man kann beobachten, dass Waldameisen häufig Objekte geeigneter Größe als Nestmaterial eintragen, unabhängig davon, ob sie besonders geeignet sind. So findet man auf Nestern von Formica pratensis oft eine Deckschicht aus Kotklümpchen von Feldhase oder Kaninchen, sicher kein sehr hygienisches Material. | ||
- Der Vizepräsident der DASW, Dieter Bretz, hat ein Nest von Formica polyctena abgebildet („Ameisenschutz aktuell“ 4/ 1998 Titelblatt), das völlig mit einer Schicht grauer Splittsteinchen bedeckt war. Die Ameisen hatten den Splitt von einem benachbarten Waldweg eingetragen. | - Der Vizepräsident der [[DASW]], Dieter Bretz, hat ein Nest von [[Formica polyctena]] abgebildet („Ameisenschutz aktuell“ 4/ 1998 Titelblatt), das völlig mit einer Schicht grauer Splittsteinchen bedeckt war. Die Ameisen hatten den Splitt von einem benachbarten Waldweg eingetragen. | ||
- Verfehlt dürfte auch die Vorstellung sein, dass die Ameisen beim „Betreten“ des Nestes über das Harz laufen und dabei die Tarsen, die Füße, sterilisieren: Praktisch alles Nestmaterial, einschließlich der Harzklümpchen, wird nach oben auf die Nestkuppel geschafft (wo man auch ggf. das meiste Harz vorfindet). Die Nesteingänge, durch die Futtersammlerinnen ins Innere laufen, finden sich aber an der Basis des Hügels. | - Verfehlt dürfte auch die Vorstellung sein, dass die Ameisen beim „Betreten“ des Nestes über das Harz laufen und dabei die Tarsen, die Füße, sterilisieren: Praktisch alles Nestmaterial, einschließlich der Harzklümpchen, wird nach oben auf die Nestkuppel geschafft (wo man auch ggf. das meiste Harz vorfindet). Die Nesteingänge, durch die Futtersammlerinnen ins Innere laufen, finden sich aber an der Basis des Hügels. |
Version vom 13. April 2011, 15:03 Uhr
„Selbstmedikation von Ameisen mit Harz“
– So oder ähnlich waren in jüngerer Zeit einige Berichte in verschiedenen Presseorganen betitelt. Waldameisen, speziell die im Schweizer Jura häufige Formica paralugubris, tragen Harzbröckchen von Nadelbäumen ein und lagern sie auf den Nesthügeln ab. Baumharz wirkt in gewissem Umfang antibiotisch, kann teilweise Pilzsporen und Bakterien abtöten. Die an der Universität Lausanne arbeitende Forschergruppe von Michael Chapuisat hat sich der Sache angenommen und wollte herausfinden, ob die Waldameisen das Harz tatsächlich eintragen um ihr Nestmaterial zu sterilisieren, damit also eine „Selbstmedikation“ betreiben.
http://www.unil.ch/dee/page7000_en.html
So ein scheinbar „kluges“ Verhalten von so niederen Organismen wie Ameisen ruft natürlich Aufsehen hervor und veranlasst so manchen Journalisten, die Berichte der Gruppe mehr oder weniger wahrheitsgetreu weiter zu interpretieren und auszumalen. Was daran ist Tatsache?
Dass Waldameisen trockene Harzbröckchen in ihre Nester eintragen und in die Nestkuppel einbauen, ist schon sehr lange bekannt. Nach Messungen der Gruppe Chapuisat können das in einem einzigen Nesthügel bis zu 20 kg werden. Das Harz wird besonders bei Sonneneinstrahlung weich, verklebt die oberen Nadelschichten, verfestigt den Bau und kann auch eine gewisse Imprägnierung gegen Regenwasser bewirken.
Der letzte Bericht der Gruppe Chapuisat stammt von Januar 2003 (siehe o.a. URL). Ob die Forscher weiter gekommen sind, lässt sich im Moment nicht sagen. Interessant wäre vor allem die Frage, ob die Ameisen diese Harzbröckchen „absichtlich“ eintragen „um“ die genannten Effekte zu erzielen, oder ob sie die Klümpchen nur als Nestmaterial passender Größe einsammeln, so wie sie das mit Knospenschuppen und ähnlichen Partikeln tun. War also der Nutzen des eingetragenen Harzes so groß, dass via Mutation und Selektion Ameisen entstanden, die instinktiv möglichst das Harzangebot nutzen? Bisher lässt diese Frage sich nicht entscheiden; entsprechende Experimente wurden noch nicht gemacht oder jedenfalls nicht veröffentlicht.
Einige Fakten sprechen eher gegen das Eintragen von Harz zu Desinfektionszwecken:
- Es gibt Waldameisen in Nadelwäldern, wo man gewöhnlich recht viel Harz findet. Doch leben (zum Teil dieselben) Waldameisenarten auch in Laubwäldern, wo praktisch überhaupt kein Harz anfällt. Diese benötigen es also nicht für ein gesundes Überleben.
- Man kann beobachten, dass Waldameisen häufig Objekte geeigneter Größe als Nestmaterial eintragen, unabhängig davon, ob sie besonders geeignet sind. So findet man auf Nestern von Formica pratensis oft eine Deckschicht aus Kotklümpchen von Feldhase oder Kaninchen, sicher kein sehr hygienisches Material.
- Der Vizepräsident der DASW, Dieter Bretz, hat ein Nest von Formica polyctena abgebildet („Ameisenschutz aktuell“ 4/ 1998 Titelblatt), das völlig mit einer Schicht grauer Splittsteinchen bedeckt war. Die Ameisen hatten den Splitt von einem benachbarten Waldweg eingetragen.
- Verfehlt dürfte auch die Vorstellung sein, dass die Ameisen beim „Betreten“ des Nestes über das Harz laufen und dabei die Tarsen, die Füße, sterilisieren: Praktisch alles Nestmaterial, einschließlich der Harzklümpchen, wird nach oben auf die Nestkuppel geschafft (wo man auch ggf. das meiste Harz vorfindet). Die Nesteingänge, durch die Futtersammlerinnen ins Innere laufen, finden sich aber an der Basis des Hügels.
Insgesamt halte ich die ganze Geschichte für noch längst nicht endgültig geklärt. Sie ist aber ein gutes Beispiel dafür, wie altbekannte Fakten aufgegriffen werden, wie eine schöne Hypothese dazu konstruiert und veröffentlicht wird, und wie dann Journalisten die Hypothese bereits m.o.w. als bewiesene Tatsache darstellen. Laien spinnen den Faden weiter, und schon entsteht ein schönes Märchen.
A. Buschinger (16.11.05)
Ergänzung 2009: In mehreren Arbeiten hat die Arbeitsgruppe Chapuisat die Angelegenheit weiter verfolgt. Die letzte Veröffentlichung ist: Castella, G., Chapuisat, M. & Christe, p. 2008: Prophylaxis with resin in wood ants. - Animal Behaviour 75, 1591-1596.
Als Ergebnis wird berichtet, dass die Ameisen (Formica paralugubris) die Harzklümpchen zu prophylaktischen Zwecken eintragen, also um das Infektionsrisiko zu senken, nicht aber zu therapeutischen Zwecken (also etwa um eine vorhandene Infektion durch Mikroorganismen zu „heilen“).