Myrmica rubra (= Myrmica microrubra): Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 7. März 2009, 15:09 Uhr
Myrmica microrubra (Myrmicinae) ist keine Art mehr. Sie wurde 1993 als Sozialparasit von Myrmica rubra beschrieben und benannt. Mittlerweile hat sich jedoch in molekulargenetischen Untersuchungen gezeigt, dass diese „Art“ mit M. rubra genetisch identisch und somit als jüngeres Synonym von Myrmica rubra zu betrachten ist.
Seit der Beschreibung als Art hat man die schon lange bekannten kleinen Geschlechtstiere (zuvor als Microgynen und Micraner bezeichnet) in Nestern von Myrmica rubra als eigenständige, sozialparasitische Art, Myrmica microrubra, aufgefasst. Nun ist es mit einem enormen Aufwand an Mitarbeitern (s.u. Autorenliste) und Techniken gelungen, zu zeigen, dass es sich doch „nur“ um Angehörige der vermeintlichen Wirtsart Myrmica rubra handelt. Die Ursache für das Auftauchen solcher „Zwerg-rubra“ ist damit noch immer nicht geklärt. Aber jedenfalls kann man sie nicht als Beweis für die Entstehung eines „intraspezifischen“ Parasiten bzw. für sympatrische Speziation gebrauchen, wie das noch 2003 versucht wurde: Savolainen, R. & Vepsäläinen, K. 2003: Sympatric speciation through intraspecific social parasitism. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 100: 7169–7174.
Mir war das Verhalten der so genannten Parasitenart schon immer suspekt (Buschinger, A. 1997: Ist Myrmica microrubra eine sozialparasitische Ameise? in: Soziale Insekten, IUSSI-Tagung Graz 1997, p. 25, K. Crailsheim & A. Stabentheiner (Hrsg.)), aber das Gegenteil zu beweisen, war echt harte Forschungsarbeit, bei der Fachleute mit ganz unterschiedlichen Kenntnissen und methodischen Ausrüstungen kooperieren mussten.
Titel und Kurzfassung kopiere ich hier mal herein:
F. M. STEINER, B. C. SCHLICK-STEINER, H. KONRAD, K. MODER, E. CHRISTIAN, B. SEIFERT, R. H. CROZIER, C. STAUFFER & A. BUSCHINGER (2005): No sympatric speciation here: multiple data sources show that the ant Myrmica microrubra is not a separate species but an alternate reproductive morph of Myrmica rubra. Journal of Evolutionary Biology (im Druck; die Kurzfassung der online-vorab-Publikation kann man hier einsehen: http://www.blackwell-synergy.com/doi/abs/10.1111/j.1420-9101.2005.01053.x )
Abstract: No aspect of speciation is as controversial as the view that new species can evolve sympatrically, among populations in close physical contact. Social parasitism has been suggested to yield necessary disruptive selection for sympatric speciation. Recently, mitochondrial DNA phylogeography has shown that the ant Myrmica microrubra is closely related to its host, Myrmica rubra, leading to the suggestion that sympatric speciation has occurred. We investigated the relationships between the two ant forms using mitochondrial and nuclear DNA sequences, microsatellite genotyping and morphometrics. Molecular phylogenetic and population structure an-alyses showed that M. microrubra does not evolve separately to its host but rather shares a gene pool with it. Probability an-alysis showed that mitochondrial DNA data previously adduced in favour of sympatric speciation do not in fact do so. Morphometrically, M. microrubra is most readily interpreted as a miniature queen form of M. rubra, not a separate species. Myrmica microrubra is not an example of speciation. The large (typical M. rubra) and small (M. microrubra) queen forms are alternative reproductive strategies of the same species. Myrmica microrubra Seifert 1993 is consequently synonymized here with M. rubra Linnaeus, 1758.
Anmerkung: Ein in meinen Augen ziemlich bedenklicher Aspekt ist, dass die Herausgeber bzw. Gutachter der sehr renommierten Zeitschrift PNAS, in der die o.g. Arbeit von Savolainen & Vepsäläinen (2003) erschien, sich geweigert haben, unsere Arbeit zu veröffentlichen. Das zeigt, wie extrem vorsichtig man heute als Wissenschaftler sein muss, um nicht auf effektiv falsche Angaben (wie in der Arbeit S. & V. 2003) hereinzufallen: Eine Richtigstellung in der ursprünglichen Zeitschrift erfolgt nicht. Sie war nur in einer anderen (ebenfalls sehr renommierten) Zeitschrift möglich. Pech gehabt, wenn man auf die Arbeit in der PNAS aufbaut und die Richtigstellung im JEB übersieht: Da sind schnell viel Arbeitszeit und Forschungsmittel in den Sand gesetzt! Dies als kleinen Blick hinter die Kulissen des Wissenschaftsbetriebs.
(A. Buschinger)
Bild 1 zeigt eine „Microgyne“ von Myrmica rubra (oben) und eine normale Myrmica rubra-Königin. Das kleine Weibchen ist nur ein exakt verkleinertes Ebenbild der normal großen Königin ohne morphologische Sondermerkmale.
Siehe auch weitere Bilder zu M. microrubra.
Neue Zweifel am Status von “Myrmica microrubra”
Auf dem IUSSI-Kongress in Washington:
wurden zwei Poster gezeigt, die unsere Synonymisierung von M. microrubra mit der vermeintlichen Wirtsart M. rubra in Zweifel ziehen:
Phylogeographic an-alysis of the ant Myrmica rubra and its inquiline social parasite Jenni Leppänen, Riitta Savolainen, and Kari Vepsäläinen. Dept of Biological and Environmental Sciences, University of Helsinki, P.O. Box 65, Helsinki, 00014, Finland.
Sowie:
The socially parasitic ant of Myrmica rubra: a microgynous queen morph or a species in statu nascendi? Kari Vepsäläinen1, Riitta Savolainen1, Jon R. Ebsen2, and Jacobus J. Boomsma2. (1) Dept of Biological and Environmental Sciences, University of Helsinki, PO Box 65, Helsinki, 00014, Finland, (2) Department of Population Biology, University of Copenhagen, Universitetsparken 15, Copenhagen, Denmark.
(“Die sozialparasitische Ameise von Myrmica rubra: Eine mikrogyne Königinnenmorphe oder eine in der Entstehung begriffene Art?“)
Eine Umbenennung zurück zu M. microrubra (die damit wieder Artstatus hätte) ist nicht erfolgt, sie ist und bleibt zunächst eben noch eine kleine Form von M. rubra.
Mein Kommentar zu den neuen Zweifeln, die auf DNS-Untersuchungen basieren, ist ziemlich unverändert:
„Wann macht sich endlich mal jemand dran, die Tiere zu züchten? Inzwischen gibt es viele Hobby-Halter von M. rubra, die zum Teil auch über Verpaarungen im Nest berichten. „M. microrubra“ paaren sich ohnehin wohl alle im Mutternest.
Auf der anderen Seite wurde jetzt (August 2006) bereits seit mindestens zwei Jahren kein neuer Fund (zumindest in D) gemeldet, weder veröffentlicht, noch privat mitgeteilt. Ich selbst habe in diesem Jahr und in 2005 zwar nicht intensiv, aber doch immer mal wieder an meinen Fundstellen nachgesehen: Keine microrubra!
DNS hin oder her: Eine „Art“, die mal da ist, mal jahrelang „verschwunden“, macht wenig Sinn. Natürlich ist die Nichtexistenz in den einzelnen Jahren nicht beweisbar. Aber eine derart extrem starke Populationsschwankung bei einem Tier mit so geringer Ausbreitungs-Potenz ist wiederum äußerst dubios. Und eine Inquilinen-ART, deren Jungweibchen vehement ihr Wirtsnest verteidigen, ist auch weit außerhalb der Norm."
Man darf gespannt sein, was die Zukunft an neuen Erkenntnissen bringen wird. (A. Buschinger, 29.08.2006)